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In memoriam Willy H. Thiem
von Werner Klippert

Als wir - Bill (Willy H. Thiem), Heinrich Heym und ich - 1947 bei Fränzchen Schulz im Hauptseminar "Wechselbeziehung zwischen Dichtung und Bühne" saßen, saß Bill in Wirklichkeit fast nie im Seminar. Er tappte als Regieassistent von Richard Weichert in der Kulissenwelt der Städtischen Bühnen herum oder saß in der Feuilletonredaktion der Offenbach-Post. Auch schrieb er kein Referat wie z.B. ich, sondern nur einen Referatsentwurf, der aber so gut war, daß ihn der Ordinarius in Abwesenheit des Autors vorlas.
Bill selbst war ein großer Entwurf. Für mich hatte seine Art, sich zu bewegen, etwas von der fernblickenden Gangart eines Wüstenschiffes. Der Obergefreite Rommels hatte zeitlebens eine Sehnsucht in der Himmelsrichtung Afrika. Jetzt wartet seine Asche, seinem Wunsch gemäß, vor der Küste von Tunis ins Meer oder in der Wüste verstreut zu werden. Ein Gutteil seines Lebens war er unterwegs. Das Auto - seine Zweit-, wenn nicht gar Erstwohnung. 1948 sagte ich abends auf der Feuilletonredaktion der Abendpost zu Bill: "Wie ich vorhin die Uferstraße heruntergeradelt bin, ist ein Riesenschiff Buick an mir vorbeigefahren, und drin hat einer gesessen, der hat fast genau so ausgesehen wie du, Bill". - "Guck emal da unne", sagte Bill. Und da stand er, der Buick, so lang, daß sich gerade noch die Fußgänger vorbeidrücken konnten. Gleichzeitig wohnte Bill aber in einem kalten Mansardenstübchen und schlief auf einer Liege.

Damals hat er als erster deutscher Feuilletonchef seine Seite, die letzte der Abendpost, zu einem überregionalen Theaterblatt gemacht. Das gesamte deutschsprachige Theater war sein Feld. Leute wie Thaddäus Troll und Hans Weigel schrieben für ihn. Als seine Frau, die Schauspielerin Helga Mietzner, starb, war der Frankfurter Südfriedhof schwarz von Menschen, die Bill ihr Beileid aussprechen wollten. Nachdem die Abendpost verkauft wurde, war Bill nacheinander zweiter Mann bei Piscator in Berlin, bei Stroux in Düsseldorf, und hatte dann schlimme Zeiten als Organisator bei dem unseligen Tourneeunternehmen der Grabowskis, am Ende zum ersten Mal heimgesucht von seiner bösartigen Krankheit.
Als er nach gelungener Operation bei mir in der Hörspielabteilung des Saarländischen Rundfunks erschien, war ich erschrocken. Noch weniger als früher war er zu orten.
Unverkennbar aber in seiner Sprache und dem niemals verleugneten hessischen Dialekt: der alte Bill. Von jetzt an wurde die sprachliche Äußerung endgültig sein ausschließliches Betätigungsfeld. Mit verzweifelter Liebe saß er hinter seiner Schreibmaschine, schrieb bis morgens um vier. Der Pinterübersetzer übersetzte nach wie vor Angelsachsen für Klaus Junker im Rowohlt-Verlag; Schrieb für ihn, seine Verlegerin Huntzinger und mich professionelle Lektorate; Richtete ein, z.B. das riesige georgische Nationalepos "Der Mann im Pantherfell" von Rustaweli zur Sendung in drei Teilen.
Aber zu sich selbst kam er in seinen eigenen Stücken für Theater und Hörspiel. Den Schauspielerinnen schrieb er Rollen, daß manch eine sagte: "Kaum zu fassen, daß ein Mann so aus uns denken kann". Über zwei Dutzend Hörspiele schrieb er in den Jahren von 1973-1986. Schon die Titel waren Programm: z.B. "Verhaltensstörung oder das Erschrecken beim Anblick eines gepanzerten Fahrzeugs", oder auch "Unterlassene Hilfeleistung" usw. Er spürte den Verletzungen nach, die sich Menschen zufügen. In seinem Theaterstück "Die Beredsamkeit der Hunde", gab er dem kleinen, getretenen Mann Stimme.
Hans Joachim Kulenkampff, sein Freund, ging mit dem im Zoo-Theater uraufgeführten Stück auf Tournee. Bill war ein Freund und hatte Freunde, und doch hatte er etwas von der Einsamkeit des Tramps.

Willy H. Thiem

  Willy H. Thiem - † 25. September 1986